„Namaste Laxmi”

Besuch meines Patenmädchens in Silinge im März 2012

 

Nach dreiwöchiger wunderbar intensiver Backpacker Rundreise durch Nepal, treffe ich meine „Indien-Freunde” Dani und Steffen in ihrer Wohnung in Boudha mit direktem Blick auf den Stupa. Die Vorbereitungen sind bereits in vollem Gange und so starten wir einen Tag später mit ca. 100 kg Gepäck in die Projektregion Kankada.
Sieben Stunden dauert die Fahrt mit dem Lokalexpressbus nach Sauraha am Rande des Chitwan Nationalparks. Der voll beladene Pickup bringt uns am nächsten Morgen nach Lother - das letzte per Straße erreichbare Dorf. Dort treffen wir Anil, den Projektmanager unseres nepalesischen Partnervereins USD.
Anil, ein junger Mann mit Kenntnissen über die lokalen Gegebenheiten und Möglichkeiten, stets aufmerksam, hilfsbereit und mit hervorragendem Organisationstalent, wird uns die nächsten fünf Tage begleiten.

 

Jeder schultert seinen persönlichen Rucksack, vier Träger die Geschenke der Paten, Medikamente sowie das übrige notwendige Equipment, verpackt in Säcken und Riesentaschen.
Etwa 1.000 Höhenmeter müssen bei tropischen Temperaturen bewältigt werden. Die ersten zwei Stunden wandern wir durch ein traumhaft wild schönes Tal. Mindestens 20 Mal durchqueren wir dabei knietief den Fluss und übersteigen die massiven Felsen, bis es dann steil bergan geht.
Die Träger, barfuß, allenfalls in Flipflops, sind bereits weit voraus, als wir schweißgebadet nach fünf Stunden endlich die Schule in Silinge erreichen.
Der Schulbetrieb ist, selbst kurz vor den Ferien, noch in vollem Gange. Die Klassenräume, in denen jeweils bis zu 80 Schüler/innen hocken, sind in einem erbärmlichen Zustand: dunkel, strom- und farblos, es gibt keinen Mörtel an den Wänden, geschweige denn einen festen Untergrund.
Das schwarze Rechteck an der Wand erinnert mit einiger Phantasie an eine Wandtafel.
Neben den Großen sitzen geduldig die mitgebrachten kleinen Geschwisterkinder. Sie alle sind respektvoll, diszipliniert und neugierig. Der Traum eines jeden hiesigen Lehrers.

 

 

 

Die Lehrer/innen sind, trotz schlechter Bezahlung, engagiert freundlich, teilen sich ein winziges Zimmer, vollgepfropft mit Arbeitsmitteln und persönlichen Utensilien, denn das Lehrerzimmer dient gleichzeitig als Schlafraum für die Männer. Auch hier gibt es keinen Strom, ebenso wenig wie in der Lehrer-„küche”, die in einem provisorischen Wellblechschuppen untergebracht ist. Als einzige Licht- und Wärmequelle erweist sich die offene Feuerstelle. Der Albtraum eines jeden hiesigen Lehrers.
Das neue Schulgebäude ist im Bau, das Erdgeschoss soll bis zum Sommer bezogen werden können. Damit wären die drei ersten Klassenräume fertig.
Wir beziehen Quartier bei der freundlichen Lehrerin Laxmi, die, seit drei Jahren von ihrer Familie getrennt, hier unterrichtet. Mit viel Herz, wie mir scheint.
Zwei weitere Schulen sind in den nächsten vier Tagen zu besichtigen und mehr als 20 Familien aufzusuchen, deren Töchter bereits mit „LiScha”-Unterstützung die erste Klasse besuchen. Das bedeutet, vier Tage steil bergauf - bergab, durch meist unwegsames Gelände, stets am Abgrund, auf Wegen, die man oft nicht als solche bezeichnen kann.

 

Die Familien wohnen häufig weit auseinander in „Häusern”, die eher Holzverschlägen ähneln, mit ihren wenigen Hühnern, Ziegen, Schweinen oder Kühen unter einem Dach. Bis zu 12 Personen teilen sich einen „Raum”, in dem gelebt, gekocht, gearbeitet und geschlafen wird. Die Kleinen, nicht selten verdreckt und verlaust, mit dunklen Augen und struppigem Haar, sind in ihren Temperamenten vollkommen unterschiedlich. Anfangs skeptisch bis ängstlich, tauen doch viele auf, nachdem wir die bunten Luftballons verteilt haben. Sie haben ansonsten keinerlei Spielzeug.
Dani ist zuständig für die Datenaufnahme und die Handprints, die den neuen Paten übersandt werden sollen, Anil übersetzt, während Steffen sämtliche Fotos schießt. Und was mache ich? Ich mime den Affen, das Huhn, die Kitzelmaus, singe und hüpfe, denn sobald die Kleinen die Kamera sehen, versteinert ihr fröhliches Lachen und die großen Augen blicken ganz ernst ins Objektiv. Bald sind wir ein eingespieltes Team.

 

 

 

Ein besonderer Höhepunkt für Silinges Erstklässlerinnen ist die offizielle Übergabe der Patengeschenke. Sämtliche Lehrer/innen und Schüler/innen versammeln sich im großen Innenhof und verfolgen gespannt die Zeremonie. Die Chepangmädchen stehen in Reih und Glied und warten geduldig bis ihr Name aufgerufen wird. Auch ein Elternteil ist jeweils anwesend. Die Übergabe erfolgt durchaus förmlich, aber das letzte Gruppenfoto zeigt eine fröhliche Gemeinschaft. Stolz tragen sie alle mindestens eines ihrer neuen Kleidungsstücke, ein buntes Durcheinander inmitten der blauen Schuluniformen.

Anil, unser „Oberorganisator”, kümmert sich zuverlässig um Übernachtungsmöglichkeiten und die tägliche „daal-bhat”-Verpflegung (Reis und Linsen). Wasser gibt es nur bedingt, Strom so gut wie nie. Auch eine Matratze, eine Dusche und ein sauberes Kleidungsstück werden schnell zu Luxusgegenständen.
Wie gut würde unseren stets pechschwarzen Füßen ein warmes Bad tun.
In Tikedhunge übernachten wir in der Kirche und erleben am Ende die innigen, aber fröhlich-rhythmischen Sonntagsgesänge der christlichen Gemeinde. Auch unsere Pfarrer hätten Freude an der eifrigen Teilnahme.
Unser letzter Marsch führt uns nach Makaldamar. Der Leiter des Schulkomitees überlässt uns ein Zimmer in seinem Haus, in dem es sogar einen Fernseher gibt. Aber kein Film kann mit uns konkurrieren. Vom Großvater bis zum Enkel einschließlich der Nachbarin nimmt die Familie vor und in „unserem” türlosen kleinen Raum Platz. Wir packen aus, richten unsere Schlafstätte ein, ruhen ein wenig aus – wir sind das Programm und die Familie sitzt in der ersten Reihe.
Nach einer erholsamen Nacht und einem Nescafé starten wir in den letzten Tag. Heute erwarten uns noch ein Klumpfuß nach Bruch, einige offene Wunden, eine Entzündung bereits erblindeter Augen, ein gebrochener Arm und eine üble Mittelohrentzündung bei der sechsjährigen Sarita.

 

Die Wunden werden versorgt, die Augen bekommen ein Antibiotikum, Mama Parvati und ihre Tochter Sarita folgen uns bereitwillig zurück nach Lother, wo sie die notwendigen Medikamente und ein paar neue Kleidungsstücke erhalten. Freude zu zeigen fällt ihnen sichtlich schwer, aber wir sind ganz sicher, dass sie, trotz ihres traurigen Schicksals durch den Verlust des Familienvaters vor wenigen Wochen, mit dem Gefühl, dass ihnen geholfen wird, ihren Weg zurück in die Berge gehen, in die sich kein einziger Tourist je verirren wird.
Wir fahren derweil zurück in die Bequemlichkeit unseres Guesthouses in Sauraha. Ein Bett, eine Dusche und ein kühles Bier sind für mich nach diesen Erfahrungen keine Selbstverständlichkeit mehr.

 

Wie schön, dass ich mein Patenmädchen Laxmi mitsamt ihrer entzückenden Familie kennenlernen konnte, die durch die persönlichen Begegnungen ein großes Stück näher gerückt sind.
Ein ganz großes Danke meinen „Nepal-Freunden” Dani und Steffen, Danke auch Anil, dass ich gemeinsam mit euch diese so berührenden Erfahrungen machen durfte und einen ganzen Rucksack wundervoller Eindrücke mit nach Hause nehmen kann.
Danke aber vor allem für die Arbeit, die ihr für diese vergessenen Menschen mit so großer Herzlichkeit, Anteilnahme und vollem Engagement leistet.

N A M A S T E

 

Text: Gudrun Warias-Jankowski
Fotos: LiScha Himalaya e.V. und G. Warias-Jankowski